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Auf neuen Märkten – geprägt von risikofreudigen Start-ups, technologischen Experimenten und wackligen Geschäftsmodellen – gibt es ständig Überraschungen. Manchmal auch mehr. Sascha Mielcarek, Chef der Cannabis-Firma Canify, spricht von „Quantensprung“ und „Revolution“, wenn er die Vorzüge eines Inhalationsgeräts schildert, das so ähnlich funktioniert wie ein Asthmaspray und demnächst auf den Markt kommt.

Der „Smart Dose Vaporizer“ als Gamechanger auf dem Markt für Medizinalcannabis – so stellt sich Mielcarek das vor. „Für den Arzt oder die Ärztin gibt es dann keine Notwendigkeit mehr, Blüten zu verschreiben“, erläutert der Manager im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das ist heute die Regel, da Cannabisblüten schneller wirken als Cannabis-Extrakte in Tropfenform.

Seit April ist medizinisches Cannabis auf Rezept erhältlich, bis dahin galt der Stoff als Betäubungsmittel, was den Zugang erheblich erschwerte. „Rund 80 Prozent der Cannabisanwendungen zielen auf den Schmerz“, sagt Canify-Chef Mielcarek. Seit etwa 5000 Jahren würden die Blüten auch für medizinische Zwecke genutzt.

Die im April erfolgte Liberalisierung hat dem Markt einen Schub verpasst. Für 2024 wird in Deutschland ein Gesamtumsatz mit pharmazeutischem Cannabis von knapp 500 Millionen Euro erwartet. 2026 könnte die Milliardenmarke geknackt werden, und für 2027 kündigt Canify das neue Gerät an, von dem sich Mielcarek dreistellige Millionenumsätze nur auf dem deutschen Markt verspricht.

Mielcarek hat 18 Jahre für den Pharmakonzern Grünenthal gearbeitet und Erfahrungen mit dem Verkauf von Schmerzmitteln. 2018 wechselte er zu Tilray, dem damals größten Produzenten von medizinischem Cannabis, und baute für die Kanadier das europäische Geschäft auf. Seit 2023 führt Mielcarek Canify – ein typisches Start-up mit derzeit 37 Mitarbeitenden. Und großen Plänen. „Mittelfristig möchten wir an die Börse“, erzählt der Canify-Chef. „Ab einer gewissen Umsatzhöhe können wir das angehen.“

Im zurückliegenden Jahr hat sich der Umsatz versechsfacht, für 2025 rechnet Mielcarek mit einer Verdopplung auf gut zehn Millionen Euro. Canify verkauft vor allem Extrakte, die sind profitabler als Blüten. Dabei ist der Markt für getrocknete Blüten deutlich dynamischer, vor allem Selbstzahler besorgen sich im Netz das schmerzlindernde Rauschmittel.

„Auf dem Pharmamarkt insgesamt liegt der Anteil der Selbstzahler zwischen zwei und drei Prozent, bei Cannabisprodukten sind es deutlich mehr als 50 Prozent“, erläutert Mielcarek. Um die 30 Prozent finanzieren gesetzliche Krankenkassen, der Rest entfällt auf private Versicherungen.

Die Bereitschaft vieler Konsumenten, für das Medizinalcannabis zu zahlen, hat Vor- und Nachteile. „Die Margen sind bei Extrakten deutlich höher als bei Blüten, weil der Selbstzahlermarkt unter höherem Preisdruck steht“, sagt der Canify-Manager. Die Gewinnmarge bei Blüten liege kaum über drei Prozent, bei Extrakten dagegen zwischen 15 und 20 Prozent. Also bemühen sich Unternehmen wie Canify, Blüten durch Extrakte oder ähnliche Produkte zu ersetzen.

Seit Mitte Dezember verkauft Canify auf dem deutschen Markt ein Cannabis-Spray aus Dänemark, das ist gewissermaßen ein Vorprodukt des eigenen Inhalationsgeräts, das aber erst in zwei Jahren auf den Markt kommt. „Wir sind überwältigt von den positiven Reaktionen und der Menge an Bestellungen durch Apotheken“, berichtet Mielcarek.

Die höhere Wirksamkeit des Sprays gegenüber Tropfen oder Extrakten ergibt sich durch den Einsatz neuer Technologien. „Das Cannabis Molekül ist nicht gut im und vom Körper zu absorbieren, deshalb muss das Molekül verändert werden“, erläutert Mielcarek. „Mithilfe von Nanotechnologie verkleinern wir das Molekül, sodass es von der Mundschleimhaut aufgenommen wird.“

Auch das Canify-Gerät zur Verdampfung von Cannabis-Extrakten reduziert die Partikelgröße. Der Smart Dose Vaporizer (SDV) fülle eine Lücke im medizinischen Cannabisportfolio, wirbt Canify für den SDV: Inhalierte Cannabisblüten wirken schnell, „sind aber unter pharmazeutischen Gesichtspunkten nicht die erste Wahl“. Bei inzwischen rund 700 Blütenarten auf dem deutschen Markt, blicken Ärzte und Pharmazeuten kaum noch durch.

Oral verabreichte Extrakte wirken verzögert, „erfreuen sich aber einer großen ärztlichen Akzeptanz“. Der neue SDV nutze standardisierte Extrakte, wirke jedoch viel schneller und werde als einziges Device dieser Art in der EU zugelassen. „Die Schmerzspitze wird innerhalb von zehn Minuten gebrochen, das lässt sich mithilfe von Daten belegen“, sagt Mielcarek. Aufgrund der Wirksamkeit bedürfe es einer geringeren Dosis als bei den gängigen Extrakten. Kurzum: „Das ist tatsächlich eine Revolution.“

Bis zur Markteinführung des neuen Geräts in zwei Jahren kann noch viel passieren. Unter anderem könnte in der nächsten Regierung die CSU das Gesundheitsressort besetzen und der oder die Ministerin die Cannabis-Liberalisierung von Karl Lauterbach (SPD) rückgängig machen. CDU-Chef Markus Söder („Bayern wird kein Kiffer-Paradies.“) reklamiert jedenfalls das Ende der Liberalisierung.

„Manche Aussagen sind sicher nicht hilfreich und auch nicht seriös“, sagt Mielcarek dazu. Die medizinische Cannabisbehandlung werde diskreditiert, was Folgen haben könnte auf die Verschreibungsbereitschaft in der Ärzteschaft. Dabei sei Cannabis „eines der Präparate mit der geringsten Nebenwirkung, die ich in meiner pharmazeutischen Karriere vertreiben durfte“, und in der Schmerzbehandlung „eines der spannendsten Moleküle“.

Zwar sei man auf einem neuen Markt „vor 180-Grad-Bewegungen nicht geschützt“, sagt der Canify-Chef. Doch der Medizinalnutzen sei unbestritten und „europaweit nicht mehr aufzuhalten“. Die Cannabis-Gegner in der Union würden sich noch besinnen, hofft Mielcarek und setzt auf nüchternes Kalkül. „Es gibt viele Cannabis-Nutzer, und die gehen auch zur Bundestagswahl“.