• splendoruranium@infosec.pub
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    2 days ago

    Danke für die Ausführungen!
    Sagen wir ich bin überzeugt von einem unmittelbar bevorstehenden Militärschlag im Osten der NATO und gehen in der Liste weiter: Warum sollte zu erwarten sein, dass es einer russischen Invasion Estlands besser ergeht als der russischen Invasion der Ukraine? Wie du korrekt eingeschätzt hast: Eine Kriegstwirtschaft kollabiert ohne militärische Erfolge früher oder später.

    Ich erwarte keine offene, große Konfrontation mit der gesamten NATO, denn insbesondere von einer direkten Konfrontation mit den Amerikanern könnte er sich quasi nix versprechen. Aber ich halte ein mehr oder minder “hybrides” Vorgehen im Baltikum für absolut realistisch und tatsächlich erwartbar. Es wird eines Tages einen Vorfall mit den berühmt-berüchtigten ‘Grünen Männchen’ bspw. in der estnischen Grenzstadt Narva geben.
    Dazu kommt, dass wohl momentan keiner ernsthaft davon ausgehen kann, dass die Amerikaner tatsächlich sicher ihrer Bündnisverpflichtung nachkommen würden. Deren Präsident würde die Esten und uns andere Europäer mit einem Wimpernschlag in einem seiner “Deals” verhökern. Damit ist jedoch in Europa die Abschreckungswirkung des amerikanischen Löwenanteils in der NATO mehr oder minder zahnlos geworden.

    Ich habe ein ähnliches Vertrauen in die derzeitige Handlungsbereitschaft der US-Amerikaner wie du. “Mehr oder minder zahnlos” verstehe ich jedoch nicht - eine NATO ohne US-Amerikaner ist immer noch ungefähr eine halbe NATO. Das einzige was dann neben der Gesamtstärke schmerzlich und unersetzbar fehlt, ist globale Präsenz. Das sollte aber für das hier beschriebene Szenario nicht relevant sein, oder?

    Wenn da plötzlich 2.500 Mann in 2 Stunden konzertiert die Stadt besetzen, was macht dann der ‘Westen’? Lösen wir tatsächlich Artikel 5 aus und würde der dann tatsächlich zu einer offenen militärischen Konfrontation mit Russland führen? Wollen wir einen Weltkrieg lostreten wegen einer 50.000-Einwohner-Stadt irgendwo im Nirgendwo? Genau das wird dann gefragt werden.

    Ich denke du hast das Beispiel nicht bewusst gewählt, aber das ist so ziemlich genau die gleiche Größenordnung an Betroffenen, für die Artikel 5 das letzte und einzige Mal in Anspruch genommen wurde. Ich sehe nicht, warum es hier anders laufen sollte.

    Wollen wir einen Weltkrieg lostreten wegen einer 50.000-Einwohner-Stadt irgendwo im Nirgendwo? Genau das wird dann gefragt werden.

    Von einem Weltkrieg zu reden halte ich für unangebracht. Darüber hinaus: Die NATO zu schwächen bzw. ihre Untätigkeit vorzuführen ist seit mehr als einem Jahrzehnt das wichtigste strategische Ziel der Russischen Föderation. Wenn also bei einem Angriff auf ein NATO-Mitglied die Angreifer (egal welcher Nationalität oder Uniform) nicht Tage oder Wochen später von belgischen, portugisischen, italienischen und deutschen Truppen beschossen werden, wäre dieses Ziel erreicht und der Kurs der russischen Regierung gerechtfertigt.

    Ob man das dann überhaupt über Artikel 5 macht oder nicht, wäre am Ende des Tages eigentlich auch egal.

    Wir haben heute schon sehr viele Leute, die mit Blick auf die Ukraine sagen, dass man sie ihm doch einfach lassen sollte. Warum sollte das bei Estland anders sein?

    Weil Estland ein Mitglied der NATO ist. Und wenn da tatsächlich gemurrt wird bringt eine Wehrpflicht auch nichts und man sollte eher eine Informations-/Werbe-/Bildungs-/Propaganda-Kampagne darüber, wie eine Militärallianz funktioniert, in die Wege leiten.

    Grundsätzlich, und ich denke das habe ich bereits an vielen Stellen zum Ausdruck gebracht, habe ich relativ viel Unverständnis dafür, mehr militärische Ressourcen zu fordern, solange noch ungenutze militärische Ressourcen in nicht-Kriegs- oder nicht-prekären Grenzgebieten rumgammeln.

    Ich hätte nicht gedacht, mich einmal wie Peter Struck anzuhören, aber eine Bundeswehr, die in Deutschland campiert, ist - vis-à-vis autokratischer Herrscher auf der Suche nach verlorener nationaler Größe und Ehre - hypothetisch für Estland, praktisch für die Ukraine und letztendlich für die eigenen Interessen mit 1.500.000 Bewaffneten genau so nutzlos wie mit 150.000.

    • Quittenbrot@feddit.org
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      2 days ago

      Warum sollte zu erwarten sein, dass es einer russischen Invasion Estlands besser ergeht als der russischen Invasion der Ukraine?

      Wie ich schon geschrieben habe, erwarte ich keine große, offene Offensive, wie sie Russland 2022 in der Ukraine begonnen hat, sondern ein niedrigschwelliges, hybrides Vorgehen wie 2014 auf der Krim. Das mit dem Ziel, die anderen NATO-Staaten mit einem fait accompli zu überrumpeln und darüber aus dem Konflikt zu halten.

      eine NATO ohne US-Amerikaner ist immer noch ungefähr eine halbe NATO.

      Das bezweifel ich, denn die Architektur der NATO ist so ausgelegt, dass die Fäden immer wieder bei den Amerikanern zusammenlaufen. Hals, Hände, Beine sind quasi wertlos ohne den sie verbindenden Torso.

      Ich denke du hast das Beispiel nicht bewusst gewählt, aber das ist so ziemlich genau die gleiche Größenordnung an Betroffenen, für die Artikel 5 das letzte und einzige Mal in Anspruch genommen wurde. Ich sehe nicht, warum es hier anders laufen sollte.

      Wenn Russland tatsächlich dämlich genug ist, bei einem Handstreich in Estland 2.500 Amerikaner umzubringen, sicherlich. Ich rede aber davon, mit 2.500 ‘grünen Männchen’ eine estnische Stadt zu besetzen. Das wird in der Öffentlichkeit in Amerika, aber auch bei uns oder bspw den Spaniern nicht die gleichen Emotionen hervorrufen.

      Von einem Weltkrieg zu reden halte ich für unangebracht.

      Genau auf diese Diskussion wird es dann aber hinauslaufen, Hand drauf. Wenn Russland die estnische Stadt an einem Vormittag besetzt hat und weiter nix macht und wir dann aufgeregt nachmittags darüber diskutieren, was jetzt zu tun sei, dann werden die Stimmen kommen, die sagen werden, dass man jetzt keinesfalls eskalieren sollte, weil das ‘in einem WeLtKrIeG!!’ enden würde und man sich lieber mit den durch Russland geschaffenen Tatsachen arrangieren sollte, statt jetzt gefährlich weiter zu eskalieren. Du weißt im Zweifel so gut wie ich, wie eine Wagenknecht uns mit Krokodilstränen vor ‘einer schrecklichen Eskalation durch den Westen’ warnt, während sie ohne zu zögern Estland unter den Bus werfen wird. Und sie wird nicht die einzige sein.

      und der Kurs der russischen Regierung gerechtfertigt.

      Dieser ‘Kurs’ bedeutet den militärischen Überfall eines Landes. Hier von ‘gerechtfertigt’ zu reden, ist dementsprechend eine ziemlich heikle Aussage.

      Und wenn da tatsächlich gemurrt wird bringt eine Wehrpflicht auch nichts

      Eine Wehrpflicht alleine nicht, das stimmt. Darum kann das auch nur einer von mehreren Schritten sein, die Bundeswehr in eine Stteitkraft zu verwandeln, die auch jenseits des amerikanischen Beitrags eine wirkungsvolle Abschreckung für uns und unsere exponierten Bündnispartner in Osteuropa sein kann. Wenn man bei uns zu Hause kannibalisieren muss, weil man eine Brigade in Litauen aufbauen will, geht das nicht.